Kurzreferat von Rechtsanwalt R. J. Gläser, Fachanwalt für Medizinrecht, Bremen
für die Meditaxa-Tagung in Münster am 17.09.2021
Seit Längerem in der Rechtsprechung umstritten, in den letzten Jahren scheinbar geklärt, ist die Frage, ob Praxisvertreter als Angestellte zu beschäftigen sind oder als „Freelancer“ stunden-/tageweise sozialabgabenfrei bezahlt werden dürfen.
Seit den Entscheidungen des Bundessozialgerichts zu den sogenannten „Honorarärzten“ in Krankenhäusern scheint das Problem erledigt (so für viele andere gleichlautende Entscheidungen BSG, Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 10/18 R). Demnach sind jedenfalls diese nach Auffassung des Bundessozialgerichts durch eine weitgehende Eingliederung des Arztes in den Betrieb des Krankenhauses im Sinne einer „funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am fremden Arbeitsprozess“ und die damit einhergehende „Weisungsgebundenheit“ gekennzeichnet. Es waren in diesen Fällen Anweisungen für Betriebsabläufe und den Bereitschaftsdienst zu beachten. Ähnlich wie Stations- und Assistenzärzte waren in den entschiedenen Fällen die Honorarärzte in hierarchische Strukturen eingebunden. Fachliche Letztentscheidungsrechte lagen beim Chefarzt der jeweiligen Abteilung. Auch gab es zwingende Vorgaben für die Dokumentation der Behandlung. Es waren verschiedene Besprechungen verpflichtend wahrzunehmen etc.
Dessen ungeachtet taucht die Problematik im niedergelassenen Bereich, was die Tätigkeit externer Praxisvertreter betrifft, immer wieder auf. Sei es, dass am Ärztestammtisch ein Praxisinhaber stolz verkündet, dass er seinen Praxisvertreter „selbstverständlich“ und beanstandungslos auf Stundenbasis bezahlt, sei es, dass eine Kassenärztliche Vereinigung Schwierigkeiten macht, wenn in der Praxis ein angestellter Arzt ohne Genehmigung beschäftigt wird und dies als unzulässige Angestelltentätigkeit qualifiziert wird oder mit der zwangsweisen Qualifikation als ein Jobsharing-Anstellungsverhältnis gedroht wird.
Umgekehrt ist klar, dass die Begehrlichkeiten der Rentenversicherungsträger unendlich sind und der Straftatbestand der Vorenthaltung und Verkürzung von Sozialabgaben (§ 266a StGB) als Damoklesschwert über den Beteiligten schwebt. Dies sind dann allerdings nicht nur die Praxisinhaber, sondern gegebenenfalls auch deren Steuerberater und Rechtsanwälte unter dem Vorwurf der Beihilfe.
Was tun?
Status-Feststellungsverfahren sind zwar geeignet, diese Unsicherheiten zu klären, jedoch aufwendig für alle Beteiligten und langwierig, zudem ungewiss, was das Ergebnis betrifft – wenn nicht gar negativ zu prognostizieren. Immerhin drohen in der Schwebezeit keine Sanktionen.
Was aber, wenn der eine oder andere Praxisinhaber oder Vertreter partout sich der Begründung eines Anstellungsverhältnisses widersetzt?
Praxisvertreter sind – wenn überhaupt – nur schwer zu bekommen und haben naturgemäß ein Interesse dran, das hierfür vereinbarte Entgelt möglichst ungeschmälert von Sozialabgaben zu erhalten.
Dementsprechend ist in solchen Konstellationen der Rechtsberater gefragt, der zumindest drei Dinge (außer idealerweise Jura) gelernt hat:
- Den Sachverhalt erforschen und darstellen;
- Die Rechtslage unter Berücksichtigung der Rechtsprechung klären;
- Entsprechende Verträge gestalten.
- Was die in Betracht kommende Sachverhaltskonstellationen betrifft, ist zu unterscheiden zwischen
a) dem in der Tat voll in bestehende Praxisabläufe eingebundenen Vertreter, welcher aufgrund zwingend vorgegebener QM-Maßgaben wenig Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung seiner Vertretertätigkeit hat. Kommen dann noch detailliere zeitliche Vorgaben hinsichtlich der Sprechstundentätigkeit hinzu, muss nicht lange darüber diskutiert werden, ob es sich in solchen Fällen um ein „abhängiges Beschäftigungsverhältnis“ handelt. Dies dürfte insbesondere bei straff organisierten medizinischen Versorgungszentren oder ähnlich strukturierten Gemeinschaftspraxen der Fall sein.
b) Was aber, wenn es sich um eine Einzelpraxis handelt und sich zwischen Praxisinhaber und Vertreter über die Jahre hinweg ein persönliches Vertrauensverhältnis gebildet hat, welches es erlaubt, den Praxisvertreter nach freiem Ermessen „schalten und walten“ zu lassen, wie er es selbst für richtig hält? Dies zumal, wenn es sich hierbei um einen befreundeten Kollegen oder gar den früheren Praxisinhaber handelt. Muss in einer solchen Konstellation der Praxisvertreter wirklich in das sozialversicherungsrechtliche Korsett eines Anstellungsverhältnisses gezwungen werden?
2. Zur Rechtslage
Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V sind „Angestellte …, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, sozialversicherungspflichtig. Der Begriff der „Beschäftigung“ wird wiederum durch § 7 Abs. 1 SGB IV dadurch definiert, dass es sich hierbei um eine „nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis“ handele. Insoweit nichts anderes als ein nichtssagender Zirkelschluss zwischen der allgemeinen Bestimmung des § 7 Abs. 1 SGB IV und der besonderen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmung des § 4 Abs. 1 SGB V. Eine wunderbare „Spielwiese“ also für Juristen, die ihre Aufgabe darin sehen, anderen Menschen das Leben schwer zu machen.
Immerhin, hilfreiche Anhaltspunkte für die Interpretation dieser Vorschriften gibt § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Danach sind „Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“
Dementsprechend stehen im Vordergrund der einschlägigen Rechtsprechung die Begriffe:
a) Weisungsrecht
b) Eingliederung in eine vorgegebene Arbeitsorganisation. Dies wiederum von der Rechtsprechung verfeinert zum Begriff der „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ (so z. B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27.03.2017 – L 11 R 2433/16 zur – nicht gegebenen Sozialversicherungspflicht einer Urlaubsvertretung in einer radiologischen Praxis!).
Sowohl diese Entscheidung des LSG Baden-Württemberg wie auch eine zeitlich parallel hierzu ergangene Entscheidung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 31.03.2017 – B 12 R 7/15 R) als auch eine neuere Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 10.06.2020 – L 8 BA 6/18) geben insoweit Veranlassung, sich gedanklich mit diesem Thema erneut und „mit freiem Kopf“ zu beschäftigen.
3. Zu den Gerichtsentscheidungen im Einzelnen:
a) Als typisch für die „klassische“ Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Abgrenzung zwischen Selbständigkeit und Angestelltenverhältnis kann das Urteil des Bundessozialgerichts vom 18.11.2015 angesehen werden (B 12 KR 16/13 R zum sozialversicherungsrechtlichen Status einer Tätigkeit im sogenannten „Rackjobbing“(auf gut deutsch: der „Regalpflege im Einzelhandel)).
Diese ist deshalb interessant, weil es hierbei sich einerseits nicht um die Erbringung Dienstleistungen höherer Art handelt, andererseits aber auch eine Vergabe an Erfüllungsgehilfen typischer Weise nicht ausgeschlossen ist. Insoweit handelt es sich um eine Tätigkeit, die von vornherein nicht entweder nur in abhängiger Beschäftigung oder nur in Selbständigkeit wahrgenommen wird, weshalb es nach Auffassung des Bundessozialgerichts (im Übrigen in ständiger Rechtsprechung) auf die „Gesamtschau der jeweiligen Umstände des Einzelfalles ankommt“ (BSG, aaO., RNr 33). Was die Selbständigkeit bei der Erbringung von Dienstleistungen höherer Art betrifft, ist wiederum sowohl in der Rechtsprechung des 12. Senates als auch des 6. (Kassenarzt-Senates) anerkannt, dass hierfür zumindest eine Wechselwirkung von „Unternehmerrisiko“ einerseits und „Unternehmerinitiative“ andererseits ausschlaggebend ist. Diesbezüglich wiederum ist zunächst zwar von den zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen (BSG, aaO., RNr 17). Dabei ist allerdings neben der Vereinbarkeit mit zwingendem Recht auch zu prüfen, ob mündliche oder konkludente Änderungen erfolgt sind (u. a. auch um „hierbei einem bloßen Etikettenschwindel“ zu begegnen).
Bemerkenswert an der zitierten BSG-Entscheidung ist, dass diese ausdrücklich darauf hinweist, dass dem Willen der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, maßgebliche indizielle Bedeutung zukommt, zumindest dann, wenn dies den tatsächlichen Verhältnissen „nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird, bzw. die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbständigkeit wie für eine Beschäftigung sprechen“ (BSG, aaO., RNr 26). Dabei wiederum sei das Gewicht dieser Indikatoren umso geringer, „je uneindeutiger die Vertragsgestaltung ist und je stärker die Widersprüche zu den tatsächlichen Verhältnissen sind. Zugleich schwächt es die indizielle Wirkung ab, wenn wegen eines erheblichen Ungleichgewichts der Verhandlungspositionen nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass alle Vertragsparteien in gleicher Weise die Möglichkeit hatten, ihre Wünsche bezüglich der Ausgestaltung des sozialversicherungsrechtlichen Status durchzusetzen“ (BSG, aaO., RNr 26 am Ende).
Im Falle des „Regalpflegers“ blieb das Bundessozialgericht insoweit bei der tradierten Rechtsprechung, wonach die Tätigkeit innerhalb einer „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ selbst einen leitenden Angestellten letztlich zu nichts anderem macht als diesem und „Eigenverantwortlichkeit und inhaltliche Freiheiten bei der Aufgabenerfüllung“ erst dann ein aussagekräftiges Indiz für Selbstständigkeit sind, wenn diese sich beispielsweise dadurch niederschlägt, dass der Auftragnehmer diese Freiheiten „eigennützig zur Steigerung seiner Verdienstchancen“ einsetzen kann – so zum Beispiel, wenn der Regalpfleger seinerseits durch von ihm beauftragte Dritte seine eigenen Verdienstchancen steigern kann. Im Endeffekt wurde der Sachverhalt zur erneuten Prüfung und Feststellung an das Landessozialgericht Hessen zurückverwiesen. Eine abschließende Entscheidung hierüber erfolgte durch das BSG also nicht.
Was bleibt, ist der Hinweis auf einen wechselseitig gleichberechtigten Parteiwillen, die Möglichkeit, die infrage stehende Tätigkeit möglichst selbstbestimmt gestalten und ausüben zu können, sowie eine möglichst eindeutige Vertragsgestaltung.
b) Einen weiteren Indikator für eine selbständige Tätigkeit im Abgrenzung zur abhängigen Beschäftigung sieht das Bundessozialgericht (ebenfalls der 12. Senat) bei einer Tätigkeit, die „weitgehend weisungsfrei auf der Basis von im Einzelfall vereinbarten Honorarverträgen“ erbracht wird, wobei der Honorierung der geleisteten Stunden eine starke Indizwirkung für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit dann zukommen kann, „wenn die pauschalen Vergütungen deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Beschäftigten liegen und dadurch auch Eigenvorsorge für Leistungen im Alter ermöglichen“ (redaktioneller Leitsatz des Urteils vom 31.03.2017 – B 12 R 7/15 R).
Im konkreten Fall handelte es sich um einen Erziehungsbeistand, der nicht in die Organisation eines öffentlichen Jugendhilfeträgers oder Jugendamtes eingegliedert war und stundenweise als nebenberuflicher Erziehungsbeistand zwar in verschiedenen Familien, allerdings beim immer selben Landkreis als Träger der öffentlichen Jugendhilfe tätig geworden ist.
Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass negative Feststellungen zur Eingliederung in vorgegebene Organisationsstrukturen und bezüglich einer etwaigen Weisungsgebundenheit des Erziehungsbeistandes in der Vorinstanz einerseits zwar nicht getroffen wurden, andererseits aber auch Kriterien, wie etwa das Tragen eines Unternehmerrisikos oder das Fehlen einer eigenen Betriebstätte nicht in der Vorinstanz berücksichtigt wurden, was seitens des Bundessozialgerichts ausdrücklich unbeanstandet geblieben ist.
Insoweit sind die Entscheidungsgründe zu den Randnummern 42 ff. dieser Entscheidung bemerkenswert und für die Verhältnisse einer Praxisvertretung ohne Weiteres übertragbar.
So wurde bezüglich des Unternehmerrisikos festgestellt, dass dieses bei der Erbringung von reinen Dienstleistungen, wo „im Wesentlichen nur Know-how sowie Arbeitszeit- und Arbeitsaufwand“ investiert werden und das unternehmerische Tätigwerden „nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte und/oder Arbeitsmaterialien verbunden“ ist, das Fehlen solcher Investitionen „damit bei reinen Dienstleistungen kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine (abhängige) Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden“ darstellen (BSG, aaO., RNr 42). Auch das Fehlen einer eigenen Betriebsstätte war ohne Belang (RNr 44), ebenso die vertraglich vereinbarte „Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung“. Dies sei nur dann als gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung anzusehen, wenn die höchstpersönliche Leistungserbringung nicht den Eigenheiten und besonderen Erfordernissen der Tätigkeit geschuldet sei(RNr 45).
Schließlich sei auch die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars kein zwingendes Indiz für eine abhängige Beschäftigung. „Geht es wie vorliegend um reine Dienstleistungen, ist …. ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheiten der zu erbringenden Leistungen nicht zu erwarten (BSG, aaO., RNr 48).
Wenn es demnach für einen Erziehungsbeistand nicht darauf ankommt, ob er – abgesehen von dem Risiko, keine Aufträge zu erhalten – kein unternehmerisches Risiko trägt, keine eigenen Betriebsmittel vorhält, höchstpersönlich seine Aufträge erfüllen muss und nach festen Stundenhonoraren honoriert wird, zumal, wenn diese „deutlich über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten Beschäftigten liegen“, wird man sich dies dementsprechend auch bei der Gestaltung von Praxisvertreterverträgen zu eigen machen können.