(BSG-Urteil v. 19.10.2021)
(BSG-Urteil v. 19.10.2021)
Der Aufschrei im Oktober dieses Jahres war groß als das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 24.10.2023 (Az.: B 12 R 9/21 R) entschieden hat, dass ein sogenannter „Pool-Arzt“ im vertrags(zahn)ärztlichen Notdienst nicht automatisch selbständig sei und damit – nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles – eine etwaige Sozialversicherungspflicht dieser Ärzte bestehen könne. Während diese Entscheidung durch alle Medien ging, fand eine andere Entscheidung des BSG weitaus weniger Beachtung, obwohl sie ebenfalls einschneidende Folgen hat, insbesondere für niedergelassene Ärzte. So hat das BSG nämlich knapp zwei Jahre vor seiner Pool-Ärzte-Entscheidung auch Praxisvertretungen grundsätzlich der Sozialversicherungspflicht unterworfen (Urteil vom 19.10.2021 – B 12 R 1/21 R).
In der Praxis verzichten Ärzte und ihre Praxisvertreter regelmäßig auf ein Anstellungsverhältnis. In aller Regel wird eine Vertretung auf Honorarbasis vereinbart und der Vertreter arbeitet selbständig. Seine Arbeitszeit stellt er dem Arzt anschließend in Rechnung und dieser macht im Anschluss wiederum die Kosten als Betriebsausgaben geltend. Sozialabgaben werden von keiner Seite abgeführt.
Dieser saloppen Handhabung hat das BSG mit seinem Urteil einen Riegel vorgeschoben und entschieden, dass selbst die vorübergehende Vertretung von Ärzten in Arztpraxen regelmäßig ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis begründet und damit zugleich an seine Rechtsprechung aus dem Jahre 2019 hinsichtlich der Beschäftigung von Honorarärzten im Krankenhaus angeknüpft (Urteil vom 04.06.2019 – B 12 R 11/18 R). Es macht also im Hinblick auf eine etwaige abhängige Beschäftigung samt Sozialversicherungspflicht grundsätzlich keinen Unterschied mehr, ob ein Arzt als Vertreter im Krankenhaus oder in einer Praxis arbeitet. In aller Regel wird ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis angenommen und der Vertreter damit der Sozialversicherungspflicht unterworfen. Zwar wird immer auf die Umstände des jeweiligen Einzelfalles abgestellt. Dabei kommt es im Rahmen der Praxisvertretung insoweit maßgeblich darauf an, ob der Vertreter „funktionsgerecht dienend“ in die Betriebsorganisation des Vertretenen eingebunden ist, ohne die Stellung eines Praxisinhabers einzunehmen, oder ob er selbst weisungsbefugt ist. In Anbetracht der BSG-Rechtsprechung ist insoweit aber von einer überaus restriktiven Betrachtungsweise auszugehen.
Um diesen von der Rechtsprechung aufgestellten Maßstäben gerecht zu werden, empfiehlt es sich, einen Praxisvertretervertrag abzuschließen. Entscheidend ist bei der Ausgestaltung insbesondere, dass der Vertreter tatsächlich an die Stelle des vertretenen Arztes tritt, um insofern in Anbetracht der BSG-Rechtsprechung eine selbständige Vertretung zu generieren. Dabei ist auch darauf zu achten, dass der Vertreter weisungsfrei handeln kann/darf sowie seinerseits weisungsbefugt gegenüber dem Praxispersonal ist. Daneben sollte für seine selbständige Tätigkeit eine erfolgsabhängige Vergütung vereinbart werden, auf eine vorgegebene Zeiteinteilung verzichtet sowie Urlaubs- und Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall ausdrücklich ausgeschlossen werden.
Auf eine geringfügige Beschäftigung, die sozialversicherungsfrei wäre, wird in aller Regel nicht ausgewichen werden können. Sie käme allenfalls bei einer tageweisen Vertretung in Betracht. Denn hier dürfte der Vertreter im Hinblick auf dessen Vergütung die monatliche Entgeltgrenze von derzeit EUR 538,00 (2024) nicht überschreiten, damit das Beschäftigungsverhältnis als sozialversicherungsfrei gilt.
Auch die Beschäftigung von pensionierten Ärzten als potentielle Vertreter ist im Hinblick auf eine etwaige Sozialversicherungspflicht nicht gänzlich unproblematisch. Denn hierbei ist zu beachten, dass ab Erreichen der Regelaltersgrenze dennoch für diese Beschäftigten zumindest der Arbeitgeberanteil an den Rentenversicherungsträger abgeführt werden muss. Auch Beiträge zur Krankenversicherung etc. sind zu berücksichtigen.
Januar 2024
Dr. Wiebke Arnold
Rechtsanwältin und
Fachanwältin für Medizinrecht